Faktencheck: Auswirkungen des Angriffskrieges auf die Ukraine auf die Landwirtschaftspolitik

Faktencheck Landwirtschaftspolitik

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stellt einen massiven Einschnitt in die Friedenshistorie Europas dar. Die gewaltige Zerstörungskraft, das unfassbare Leid der Menschen in der Ukraine und die daraus resultierenden Folgen für die Ukraine, für Europa und die Welt lassen sich kaum begreifen und in Worte fassen. Die Ernährungssicherheit weltweit – auch die Landwirtschaft in Bayern – sind von diesem abscheulichen Krieg betroffen. Die Europäische Union ist zwar in bestimmten Teilbereichen betroffen, die Lebensmittelversorgung in der EU bleibt jedoch gesichert.

Mit dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar wurden sofort anti-ökologische Stimmen laut, die einen Rückschritt in der deutschen und europäischen Agrarpolitik fordern: Weg von dem mühsam erreichten Konsens für ein ökologischeres Agrar- und Ernährungsystem und hin zu einer noch stärkeren Intensivierung. Anhänger und Profiteure des agrarindustriellen Modells verlangen, den Green Deal, die Farm-to-Fork-Strategie (F2F) und die Biodiversitätsstrategie aufzuschieben und zu verwässern.

Es wäre nicht nur ein historischer Fehler, wenn die EU ihre Nachhaltigkeitsvorhaben nun verlangsamen oder sogar ganz begraben würde, es wäre auch ein weiterer Fall sturer Wissenschaftsleugnung.

Mit unserem Faktencheck stellen wir die lauten Forderungen und Behauptungen der anti-ökologischen Stimmen in einen objektiven Kontext und legen dar, warum es der größte Fehler wäre, im Angesicht des Russland-Ukraine-Krieges andere Krisen in den Hintergrund zu drängen.

Die einleitenden antiökologischen Forderungen/Behauptungen sind bewusst plakativ formuliert. Sie geben sinngemäß die aktuellen Behauptungen und Forderungen der Nachhaltigkeitsgegner*innen wieder. Ihnen folgt unsere Antwort. Die anschließenden inhaltlichen Ausführungen informieren über die Hintergründe und entlarven den Populismus dieser Forderungen und Behauptungen.

Antiökologische Forderung:
«Stilllegungsflächen müssen für die Produktion von Lebensmitteln freigegeben werden»

Unsere Antwort:
Für 2022 gilt für Deutschland, dass bestimmte Ökologische Vorrangflächen für die Futternutzung
durch Beweidung und Schnitt freigegeben werden, um Futterknappheit zu vermeiden. Die 4 % Stilllegungsflächen, die ab 2023 gelten, sollen nicht angetastet werden. Diese brauchen wir unbedingt als Puffer und Erholungszonen für das gesamte Ökosystem. Ohne diese Flächen befeuern wir die Klimakrise und das Artensterben. Schon jetzt führen Klimakrise, Wassermangel, degradierte Böden und fehlende biologische Vielfalt zu Ernteausfällen und Ertragseinbußen.

Hintergrund: Im Rahmen der aktuellen Gemeinsamen Agrarpolitik GAP werden sog. «Ökologische Vorrangflächen» ausgewiesen. Auf diesen Flurstücken findet eine sehr eingeschränkte ackerbauliche Nutzung statt und sie dienen v.a. dem Umwelt- und Artenschutz. Wie in vergangenen Dürresommern können auch 2022 Flächen freigegeben werden, um Futtermittel anzubauen. Dabei soll es aber weiterhin verboten bleiben, Pestizide zu spritzen. In der neuen Förderperiode der GAP ab 2023 treten an diese Stelle sog. «Flächenstilllegungen».
Um weiterhin eine Einkommensgrundstützung zu erhalten, muss jeder landwirtschaftliche Betrieb ab einer gewissen Größe 4 % seiner Fläche stilllegen; d.h. die Fläche darf nicht bewirtschaftet werden. Damit geht sie der Produktion von Futter- oder Lebensmitteln zwar verloren, steigt aber in die «Produktion» von Ökosystemleistungen wie Kleinsthabitate, Grundwasser- und Erosionsschutz etc. ein. Die zusätzliche Fläche, die durch die Nutzung der aktuellen «Ökologischen Vorrangflächen» von ca. 6 Mio. ha in Europa – zum Vergleich, allein die Ackerfläche in Europa beträgt ca. 100 Mio. ha –entstehen würde, weist ein verhaltenes Ertragspotential auf. Aktuell werden Brache- oder Zwischenfruchtflächen vorrangig auf Grenzertragsstandorten angelegt, um möglichst geringe Einbußen für das betriebliche Bilanzergebnis zu verzeichnen.
Im Umkehrschluss heißt das, dass auf den Flächen, die jetzt zur Lebensmittelproduktion freigegeben werden sollen, sicherlich keine Höchsterträge zu erwarten sind. Hinzu kommt, dass auch durch die Engpässe in der Düngemittelversorgung die Versorgung mit synthetischem Stickstoff im konventionellen Ackerbau nicht gesichert ist. Um den Hunger in den importabhängigen Ländern so niedrig wie möglich zu halten, muss v.a. das World Food Programme in den nächsten Wochen massiv unterstützt werden, hier hilft eine Produktionssteigerung in vier bis fünf Monaten aktuell nicht weiter.

Antiökologische Forderung:
«F2F und Green Deal müssen im Angesicht des Russland-Ukraine-Krieges dringend überdacht werden»

Unsere Antwort:
Unsere Ökosysteme kollabieren, wenn wir weiter machen, wie bisher. Um langfristig die Ernten zu sichern und ausreichend Nahrungsmittel zu erzeugen, brauchen wir eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft. Diese Erkenntnis schlägt sich in der Farm-t o-Fork-Strategie (F2F) nieder und bleibt trotz des Krieges in der Ukraine weiterhin gültig.

Hintergrund: Die Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission und der Green Deal zielen auf eine nachhaltige und umweltbewusste Form der Landwirtschaft ab, die Systemleistungen miteinschließt, um ein lebensfähiges und funktionierendes Ökosystem zu erhalten und die Probleme der aktuellen Zeit nicht in die Verantwortung von nachfolgenden Generationen zu übergeben. Insbesondere der Schutz unseres Grundwassers, die Verhinderung der Eutrophierung von Gewässern oder die Verringerung der Bodendegradation stehen an erster Stelle.
Mithilfe dieser beiden Strategien (F2F und Green Deal) sollen die Folgen des Klimawandels abgemildert und Anbau und Verarbeitung regionaler Lebensmittel gefördert werden. Bei uns wird der Klimawandel durch Extremwetterereignisse wie der Dürresommer 2018 oder die Hochwasserkatastrophe 2021 sichtbar, in den Ländern des Globalen Südens allerdings werden aufgrund von Dürren ganze Standorte für immer unbrauchbar für die landwirtschaftliche Produktion. Es ist also an der Zeit, dass wir in Europa Maßnahmen ergreifen, um die Folgen des Klimawandels, für den v.a. die westlichen Länder verantwortlich sind, in den Ländern des Globalen Südens abzumildern. Deshalb sind F2F, Green Deal oder auch die Umsetzung der Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft ZKL sehr wichtig.


Antiökologische Forderung:
«Deutschland und die EU müssen alles daransetzen, die Versorgungslücke am globalen Markt zu schließen.»

Unsere Antwort:
In Europa werden 70 % der Anbaufläche für Futtermittel- und Kraftstoffproduktion genutzt. Sicher kann ein Teil der Anbaufläche sofort sinnvoller genutzt werden, um Menschen mit ausreichend Nahrung zu versorgen.

Hintergrund: Die Lücke, die der Exportausfall der Ukraine und auch Russlands am Weltgetreidemarkt reißen, ist beträchtlich. Beide Länder sind für knapp 30 % des globalen Weizenexports verantwortlich. Dieser Ausfall kann von Deutschland oder der Europäischen Union nicht ohne weiteres kompensiert werden, hier ist eine mehrjährige Strategiemit kurz-, mittel- und langfristigen Zielen wichtig.
Kurzfristig bringt weder die Steigerung der Produktion, deren Effekt erst im Sommer wirksam wäre, noch die Aussetzung des Green Deals Vorteile. In den nächsten Wochen muss das World Food Programmemassiv unterstützt werden, um eine humanitäre Katastrophe in den bedürftigen Ländern, v.a. im Jemen, zu verhindern. Mittel- und langfristig müssen die Tierbestände in Europa reduziert werden. 58 % der Gesamtgetreidemenge wird in Deutschland über Tiermägen veredelt, 70 % der Gesamtweizenproduktion unseres Landes landen im Futtertrog und nicht auf dem Teller. Unsere Ernährungsweise muss sich abkehren von kostengünstigen, tierischen Produkten und die Verwertung von Getreide zu Biokraftstoffen muss eingestellt werden.
Gerade bei der Beimischung von Biodiesel und Bio-Ethanol zu fossilen Kraftstoffen könnte, auch kurzfristig gesehen, ein massives Potential freigesetzt werden, um hier Versorgungsengpässe mit Getreide abzudämpfen.


Antiökologische Behauptung:
«Ökologische Betriebe leiden besonders unter dem Exportstopp der Ukraine.»

Unsere Antwort:
Ökologisch wirtschaftende Betriebe sind unabhängig von chemisch-synthetischen Dünger und Pestiziden, die energieintensiv hergestellt werden. Die steigenden Kosten für diese Dünger (v.a. aufgrund der Abhängigkeit hier von Russland und Belarus) und Pestizide fallen im Ökolandbau nicht derart ins Gewicht. Für ökologische Tierhalter, die auf ökologisch erzeugtes Eiweißfutter aus der Ukraine angewiesen sind, kann die Verknappung zu einem Problem werden.

Hintergrund: Ökologisch wirtschaftende Tierhaltungsbetriebe sind von dem Krieg in der Ukraine nicht mehr betroffen wie ihre konventionellen Kollegen. Aufgrund der seit 1. Januar geltenden 100 % -Ökofütterung im Schweine- und Geflügelbereich sind aber v.a. im Bereich der Proteinfuttermittel die Lagerbestände ausgeschöpft und die Verfügbarkeit sehr angespannt. Hier kann, wie bereits vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft angekündigt, eine zeitlich befristete Anhebung der Beimischungsgrenze deutliche Entlastung bringen.
Damit könnten temporär wieder bis zu fünf Prozent konventionelles Futter in der ökologischen Tierhaltung verwendet und eine gewisse Planungssicherheit wieder hergestellt werden.


Antiökologische Behauptung:
«Ökolandwirtschaft erhöht aufgrund der niedrigeren Erträge den Hunger in der Welt.»

Unsere Antwort:
Menschen hungern, weil sie arm sind. Hunger hat strukturelle Ursachen, hier kann nur mit strukturellen Maßnahmen gegengesteuert werden: Zugang zu Land und finanziellen Mitteln, Sicherheit, Bildung und resiliente Ernährungssysteme.

Hintergrund: Der Ökolandbau folgt dem Kreislaufgedanken. Hier wird zwar mit z.T. geringeren Erträgen wie im konventionellen Landbau gearbeitet, es werden aber zusätzliche Leistungen erbracht, die für ein funktionierendes Ökosystem notwendig sind. Beispielsweise keine Verwendung von chemisch synthetischen Pflanzenschutzmitteln oder Düngemitteln, weite Fruchtfolgen und viele mehr. Der Hunger, der schon vor dem Krieg in der Ukraine in Teilen Afrikas und dem Nahen Osten herrscht, ist kein Problem, das auf geringe Erträge zurückzuführen ist, sondern bildet ein strukturelles Problem ab. Die Menge an weltweit erzeugten Lebensmitteln würde auch für eine zahlenmäßig größere Weltbevölkerung ausreichen, die Ursachen liegen also an anderer Stelle.
Die Verteilung von Lebensmitteln ist nicht gerecht, die Lebensmittelverschwendung nimmt v.a. in den westlichen Industrieländern perverse Ausmaße an. Gleichzeitig wird Kleinbauern auf der Südhalbkugel der Zugang zu eigenem Land verwehrt.
Oft ist auch mangelnde landwirtschaftliche Ausbildung Ursache für geringe Selbstversorgungsgrade. Die Ursachen für den Hunger in den Ländern des Globalen Südens lassen sich unter den vier «C» zusammenfassen:
• Climate Change
• Conflict
• Costs
• Covid-19
Der ökologische Landbau könnte mit einem an den jeweiligen Standort angepasstem Produktionssystem einen wichtigen Beitrag für eine stabile Ernährungssouveränität leisten, nicht zuletzt, weil die berüchtigten Ertragsdifferenzen nicht zwischen dem ökologischen und konventionellen System bestehen, sondern zwischen den Entwicklungsstufen der Anbauländer. Der Welternährung wird also langfristig nur zu meistern sein, wenn in Entwicklungs- und Schwellenländern gute Ausbildungsmöglichkeiten und stabile Lebensverhältnisse gesichert sind, wir den Verlust von fruchtbarem Boden und Flächen stoppen und unser Ernährungssystem den planetaren Grenzen anpassen.


Antiökologische Behauptung:
«Durch Düngerknappheit können wir die Lebensmittelversorgung kaum aufrechterhalten.»

Unsere Antwort:
Die Abhängigkeit von importiertem Mineraldünger ist für die deutsche und bayerische Landwirtschaft ein großes Problem. Kurzfristig kann hier nur mit einem Rückgang der Düngung bzw. einer Ausweitung der organischen Düngung im Rahmen der geltenden Düngeverordnung gehandelt werden. Langfristig muss unsere Landwirtschaft resilienter und unabhängiger von Düngemittelimporten werden.

Hintergrund: Auch hier kann die biologische Landwirtschaft als Vorbild für eine Ökologisierung der Landwirtschaft im Allgemeinen dienen. Durch die Umsetzung einer vielfältigen Fruchtfolge mit dem ausreichenden Einsatz von Leguminosen kann sowohl der Luftstickstoff im Boden für Folgefrüchte gebunden werden als auch die Bodenstruktur verbessert werden. Auch der sinnvolle Einsatz von organischen Düngemitteln im Rahmen der geltenden Düngeverordnung kann die Abhängigkeit von importiertem Mineraldünger verringern. Hier muss allerdings die Verteilung von viehstarken Regionen hin zu schwerpunktmäßigen Ackerbauregionen besser koordiniert werden. Somit könnte sowohl ein viehloser Ackerbaubetrieb von dem wertvollen Wirtschaftsdünger profitieren wie auch das Grundwasser in viehstarken Regionen durch eine verringerte Nitratauswaschungsgefahr.

Ausblick, unsere Position:
Im Angesicht des Krieges in der Ukraine und den daraus entstehenden, weltpolitischen Veränderungen, müssen wir einen kühlen Kopf bewahren. Deshalb sind unsere Forderungen klar:

  • Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik weiter umsetzen und ab 2023 durchführen,
  • mithilfe von F2F und Green Deal die Ökologisierung der Landwirtschaft weiter vorantreiben,
  • Mehr Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit mit agrarökologischen Lösungen,
  • Unterstützung für resiliente Ernährungssysteme in den Ländern des Globalen Südens,
  • Globale Märkte und Binnenhandel zu fairen Bedingungen offenhalten.

Farm-to-Fork-Strategie F2F
Factsheet Krieg in der Ukraine, Martin Häusling und Renate Künast
Zukunftskommission Landwirtschaft


Gisela Sengl, MdL
Stv. Fraktionsvorsitzende, Sprecherin für Landwirtschaft und Ernährung

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag
Maximilianeum, 81627 München, Tel. 089 4126-2542
gisela.sengl@gruene-fraktion-bayern.de
www.gruene-fraktion-bayern.de
Stand: März 2022

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